Darf ich meinen Hund bestrafen?

Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass wirklich jeder Hundehalter seinen Hund schon bestraft hat. Und trotzdem darf man das Wort kaum in den Mund nehmen, ohne dass man der Buhmann ist.

Vielleicht geht es Dir so, dass Du bei dem Wort Strafe direkt zusammenzuckst. Na klar, Du möchtest keine Person sein, die den eigenen Hund bestraft. Tatsächlich aber bestrafen wir viel häufiger, als uns bewusst ist.

Vielleicht erinnerst Du Dich noch an die Zeit, als dein Hund ein Welpe war. Wie hast Du denn versucht, dem Welpen das Beißen abzugewöhnen?

Bestimmt war eine Taktik, das Spiel zu beenden, wenn Dein Welpe zu doll gebissen hat. Indem Du das für ihn angenehme Spiel beendet hast, hast Du Dich im Bereich der Bestrafung (negative Strafe, siehe Schaukasten) bewegt. Denn durch das Beenden des Spiels hast Du als Reaktion auf das zu heftige Zubeißen Deines Welpen etwas Angenehmes, nämlich das Spiel, entfernt.

Wenn Du Deinem Welpen, statt das Spiel zu beenden, beispielsweise durch das Anheben Deiner Stimme vermittelt hast, dass jetzt aber wirklich Schluss ist, dann bewegst Du Dich ebenfalls im Bereich der Strafe. Hier dann speziell im Bereich der positiven Strafe. Denn die miese, laute Stimmung ist etwas Unangenehmes, dass als Folge auf das Zubeißen hinzugefügt wird.

Etwas Lerntheorie: Die zwei Formen der Bestrafung

Im lerntheoretischen Sinne gibt es zwei Formen von Bestrafung: die positive Bestrafung (etwas Unangenehmes wird hinzugefügt) und die negative Bestrafung (etwas Angenehmes wird entzogen). Es ist wichtig zu wissen, dass positiv und negativ hier nicht in einem wertenden Sinne gemeint sind. Positiv beschreibt lediglich, dass etwas hinzugefügt wird und negativ meint, dass etwas weggenommen wird.

Beispiele dazu findest Du im Schaukasten (Namen geben, Verweis)

Wer behauptet, nur mit Belohnung zu arbeiten, der lügt!

Viele Menschen behaupten von sich, dass sie nur über Belohnung mit ihrem Hund arbeiten. Ich glaube, dass allein meine zwei Beispiele oben (Spielabbruch oder Anheben der Stimme, wenn Dein Welpe zu fest zubeißt) zeigen, dass das so nicht stimmen kann.

Bestrafung gehört, ebenso wie Belohnung, zu einem fairen Umgang mit dem Hund dazu.

Vielleicht erschließt sich das nicht direkt. Deshalb nehmen wir einen kurzen Umweg über eine Geschichte:

Der Wunsch, den Hund rein über Belohnung auszubilden, trägt teilweise skurrile Früchte. Wenn ich meinem Hund beispielsweise beibringen möchte, dass er auf ein Kommando hin zu mir zurückkommt, dann beginne ich den Aufbau häufig rein positiv.

Früher oder später kommt aber dieser eine, entscheidende Moment: Dein Hund zieht die interessante Schnüffelstelle Deinem Leckerli vor und kommt nicht, wenn Du rufst. Und dann?

Lass Dir nicht einreden, dass Du nur noch mehr üben musst. Denn wie soll das denn funktionieren? Durch noch mehr Übung wird doch die Stelle nicht weniger interessant oder das Leckerli nicht hochwertiger. Klar, Du könntest statt Wiener noch Käse versuchen und dann statt Käse noch Frischfleisch. Aber irgendwann ist auch diese Geschichte dann auserzählt.

Du bist dann also an einem Punkt, an dem Du nicht weiterkommst. Und Du stellst Dir dann diese „Was mache ich denn, wenn…?“ -Frage.

Also: was machst Du denn, wenn:

  • Dein Hund nicht kommt, wenn er mit anderen Hunden spielt.
  • Dein Hund nicht kommt, wenn er etwas zu Fressen gefunden hat.
  • Dein Hund nicht kommt, er gerade etwas Spannendes riecht.

Ich weiß, was viele Menschen machen, wenn sie auf diese Fragen keine adäquaten Antworten bekommen: Sie lassen ihren Hund Jahre an der Schleppleine.

Ist ewiges Laufen and er Schleppleine fairer als einmal Kante zu zeigen?

Ist es aber nicht weitaus fairer, meinem Hund ein paar wenige Male deutlich zu kommunizieren, dass die Missachtung des Rückrufes Konsequenzen hat (selbstverständlich erst nachdem ich ihm den Rückruf beigebracht habe), als ihn Jahre an der Schleppleine zu lassen?

Weißt Du, ich meine mit damit nicht, dass wir unsere Hunde schlagen sollen oder was auch immer manche sich unter Strafe vorstellen. Aber mal mit angesäuerter Miene und forschen Schritt auf den Hund zuzugehen, um ihm deutlich zu machen, dass die Schnüffelstelle nicht wichtiger ist als mein Rückruf, das darf durchaus sein. Auch ein Leinenwurf (Leine fliegt vor dem Hund auf den Boden) darf sein.

Strafe hat mit Gewalt Nichts zu tun

Wir suchen dabei aber selbstverständlich Formen der Bestrafung, die unser Hund verstehen kann und die angemessen sind.

Wenn ich beispielsweise einem sensiblen Aussi sagen möchte, dass sein Verhalten unangebracht ist, dann reicht es meist schon, wenn ich mich groß mache und meine Stirn in Falten lege. Würde ich dasselbe bei einem Labrador tun, würde der mit keiner Wimper zucken. Da müsste ich deutlicher werden.

Es ist sehr individuell, was ein Hund als Bestrafung empfindet. Deshalb gibt es auch nicht DEN einen Tipp. Vielmehr wirst Du ausprobieren müssen, was eine geeignete Konsequenz für Deinen Hund ist. Du hast dann die geeignete Konsequenz gefunden, wenn sie dazu führt, dass Dein Hund das unerwünschte Verhalten in Zukunft weniger zeigt bzw. einstellt.

Ich arbeite sehr gerne mit meinen Kunden über Körpersprache und Stimmung. Konkret heißt das, dass ich beispielsweise mal zackig auf meinen Hund zugehe, wenn er nicht kommt. Und dabei wirklich schlechte Stimmung verbreite. Bis zu dem Moment, wo er mich aufrichtig wahrnimmt, dann kann ich ihm wieder nett mitteilen, dass er herkommen darf.

Die Beziehungsebene spielt eine wichtige Rolle bei der Erziehung

Es spielt eine große Rolle, wer bestraft. Wenn Dein Hund Dich bisher als jemanden kennengelernt hat, der in keinerlei Ebene Grenzen setzt, dann macht es keinen Sinn, plötzlich damit anzufangen, einen missachteten Rückruf zu sanktionieren.

Das ist ein bisschen, als schimpft der Referendar, den die Klasse über Monate hinweg zum Weinen gebracht hat, über nicht-gemachte Hausaufgaben – das nimmt kein Schüler ernst.

Das Fundament echter Erziehungsarbeit ist also Beziehungsarbeit.

Wichtiges Hintergrundwissen

Intensität

Mit einer Strafe wollen wir bewirken, dass das unerwünschte Verhalten nicht mehr gezeigt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es wichtig, dass die Strafe direkt mit hoher Intensität erfolgt. Würden wir uns im Übungsverlauf von niedriger Intensität zu höher Intensität steigern, hätte die Strafe keinerlei Effekt.[1]

Praxisbeispiel: Wenn ich meinem Hund durch Stimmung und meine Körpersprache klarmachen möchte, dass die Schnüffelstelle nicht interessanter ist als mein Rückruf, dann marschiere ich mit der Stimmung eines intergalaktischen Todessterns auf ihn zu. Das Ziel ist, dass meine Stimmung direkt und unvermittelt in der höchsten Intensität ankommt, damit ich nicht versehentlich eine Gewöhnung herbeiführe.

Was meine ich mit Gewöhnung?

Stellen wir uns vor, wir öffnen eine Tür und plötzlich schlägt uns ein widerlicher Geruch ins Gesicht. Wahrscheinlich werden wir das nächste Mal die Türe nicht mehr öffnen wollen, weil der Geruch mit voller Wucht kam.

Würde aber der Geruch in seiner Intensität ganz gering sein und bei jedem Türöffnen ein kleines bisschen stärker werden, würden wir uns daran gewöhnen. So ist es auch beim Hund.

Strafe muss auf dem Fuße folgen

Es ist wichtig, dass Dein Hund die Konsequenz immer mit seinem direkten Verhalten in Verbindung bringt. Wenn Du ihn für ein Verhalten sanktionierst, dass schon eine Minute her ist, dann ist das nicht nur unfair, sondern auch sinnlos.[2]

Erfülle eine 100%-Quote

Wenn Du ein Verhalten erfolgreich unterbinden möchtest, dann ist es wichtig, dass es für Deinen Hund kein Schlupfloch dabei gibt. Konsequenz ist der Königsweg.

Gib Deinem Hund die Chance, aus Fehlern zu lernen

Am leichtesten fällt es Deinem Hund zu verstehen, was das richtige Verhalten ist, wenn er nach einer Konsequenz die Chance bekommt, es richtig zu machen.

Falls Dein Hund also nicht kommt, wenn Du ihn rufst und wie der intergalaktische Todesstern (s. oben) lospolterst, dann schicke ihn danach nochmal an dieselbe Stelle zurück und rufe erneut. So kann er lernen, dass der Todesstern nicht in Aktion tritt, wenn er direkt zu Dir kommt.

[1] Mazur, J. E. (2006). Lernen und Verhalten. S. 276

[1] Mazur, J. E. (2006). Lernen und Verhalten. S. 276